Markos
Nach 200 Hundert Jahre industrieller Revolution:
Was ist aus dem Proletariat geworden
und wie steht es mit der sozialen Frage?
Einleitung
Der Begriff des Proletariats ist heutzutage negativ belegt.
Das Proletariat als Mythos. Das Wort "Prol" als Inbegriff des niedrigsten Unterwerfungsverhaltens gegenüber den Erfordernissen und den konservativsten kulturellen Werte dieser Gesellschaft. Das Proletariat als Feindbild (Hauptstütze des Systems, potentielle faschisten).
Ich will zeigen, warum keine revolutionäre Perspektive geben kann ohne die maßgebliche Tätigkeit des Proletariats und warum dennoch solche Äußerungen auf reale Probleme einer solchen Perspektive hinweisen.
Die französische Revolution und der utopische Sozialismus
Während der 1. Hälfte des XIX Jahrhunderts scheint die bürgerliche Gesellschaft unweigerlich ihr Ende zuzusteuern.
Hegel und die Geschichte
Mit Hegel erhält die Geschichte zum ersten mal eine immanente Logik (die des Geistes).
Die Geschichte wird als Abfolge von untereinander bedingenden Momenten aufgefaßt. Bis dahin als willkürliche unter einander völlig unabhängige Formen gesehen. Die franz. Revolution (schon Cromwell) ist die erste bruchartige, radikale Veränderung einer sozialer Struktur, die aus dem Inneren der alten Gesellschaft entstanden ist. Früher äußere Umstände: Eroberungen, Kriege, Naturbedingugen
Marx’s Kritik am Kapitalismus
Marx setzt die praktische Tätigkeit des Menschen (d. h. die Arbeit) im Zentrum seiner Betrachtung. Die Lohnarbeit ist der Dreh- und Angelpunkt seiner Kapitalismuskritik.
Entfremdete Arbeit: Trennung vom Produkt, von Kontrolle des Produktionsprozeßes, von der eigenen Tätigkeit. Keine gesamtgesellschaftliche Kontrolle (Unterwerfung unter dem Diktat der sogenannten ökonomischen Gesetze). Die Ware, das Privateigentum, das Geld. Die Konkurrenz. Der Staat als besondere Institution. Die Nationen. Die Ideologien.
Marx widmet sich der philosophischen Fragestellung, wie kann der Mensch die äußere Welt erfassen, erkennen und interpretieren kritisch zu. Diese Fragestellung setzt voraus, daß zwischen dem Menschen und der äußeren Welt ein Wesensunterschied besteht und daß diese Kluft, wenn überhaupt, nur durch Geisterkraft überwunden werden könnte. Der Mensch wird gesehen als Subjekt der Erkenntnis, die reale Welt als Objekt der Erkenntnis. Andere Wechselbeziehungen werden bei dieser Fragestellung als unwesentlich beiseite gelassen. Bestenfalls wird die zweckmäßige Veränderung der objektiven Welt als spätere Umsetzung der durch den Geistesakt gewonnenen Erkenntnis verstanden. In anderen Wörter wird die reale Veränderung der Welt nicht als integraler Bestandteil des Erkenntnisproblems betrachtet.
Marx verläßt, nicht zuletzt angesichts der gewaltigen Veränderungen im Bezug auf der Gesellschaftsform durch das revolutionäre Handeln der Massen (nordamerikanische Unabhängigkeitskrieg und französische Revolution sowie ihre Nachfolge in Europa und Amerika) als auch im Bezug auf der materiellen Welt durch die rasche voranschreitende industrielle Revolution, diesen Standpunkt. Für ihn wird die prinzipielle Trennung zwischen Mensch und Natur tendenziell überwunden, und zwar nicht durch eine "bessere" "wissenschaftlichere" Erkenntnismethode, sondern durch sein bloßes Dasein, durch seine Lebendigkeit selbst, durch seine Tätigkeit. Der Mensch wird von ihm nicht mehr vor allem als betrachtendes sondern eher als leidendes, handelndes Wesen aufgefaßt. "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern" [Marx: Thesen über Feuerbach, (vgl. MEW Bd. 3, S. 7)]. Dies bedeutet, daß der Mensch nicht nur ein Umfeld vorfindet, das die materiellen Bedingungen seines Lebens bestimmt, sondern daß er durch seine Tätigkeit eben dieses Umfeld und damit sich selbst ständig verändert, verarbeitet. Marx verlagert die Wesensbestimmung des Menschen von seinen geistigen Fähigkeiten auf seine tatkräftige Wechselwirkung mit der "äußeren" Welt (jetzt begriffen als "unorganischer Körper" des Menschen), auf die Praxis.
Ist die Arbeit, verstanden als zweckmäßiges Eingreifen des Menschen in sein materielles Umfeld, der Kern der "menschlichen Natur" in seinem organischem Austausch mit der nicht-menschlichen Natur, so findet sie dennoch im Rahmen konkret spezifischen Gesellschaftsformen statt. Gerade an diesem Punkt setzt die Marx'sche Kapitalismuskritik an.
Die dem Inhalt der Arbeit zugrundeliegenden Zwecke (Veränderung des materiellen Umfelds) und die unmittelbar von denen, die die Arbeit verrichten, verfolgten Zwecke driften in der modernen Gesellschaft auseinander. Diese unmittelbare Zwecke finden ihre konkrete Gestalt in der allgegenwärtigen Form des Geldes. Den Arbeitern geht es darum, ihre Fähigkeit zu arbeiten (die Arbeitskraft) gegen einen Lohn zu tauschen. Aber auch für die Kapitalisten, die die Arbeiter, nachdem sie ihre Arbeitskraft gekauft haben, für sich arbeiten lassen, kommt es nicht primär auf den materiellen Inhalt der Arbeit darauf an. Vielmehr geht es ihnen um den Gewinn, der durch den Verkauf der als Ware produzierte Güter zu erwarten ist. Daher betrachtet Marx das Geld als Inbegriff der Perversion des menschlichen Daseins und die Lohnarbeit als Perversion der menschlichen Tätigkeiten. Denn da wo die Arbeit die Trennung zwischen Mensch und Natur tendenziell abbaut, beinhaltet die Lohnarbeit neue gesellschaftliche Trennungen zwischen dem Arbeiter und seiner Arbeit.
Lohnarbeit ist entfremdete Arbeit in vielfältiger Weise:
Als unbedingte Voraussetzung des Warentauschs und damit des Geldes ist das Privateigentum, in seiner historischen Prägung als Privateigentum von Nichtarbeiter über die Produktionsmitteln, ebenfalls von der Lohnarbeit unzertrennlich. Es trägt in Zusammenhang mit dem Warenaustausch zur Konkurrenz statt zur Kooperation unter den Menschen und fördert daher eine gesellschaftliche Dynamik, die sich jedem bewußten Zugriff von Seiten der Menschen entzieht. Die moderne Gesellschaft, die die technischen Möglichkeiten zur weitreichenden Befreiung von den Zwängen der Natur entwickelt, schafft gleichzeitig eine reale neue Knechtschaft unter den Zwängen der "Gesetze der Ökonomie".
In diesem Zusammenhang ist der moderne Staat die Institution, die dem völligen Auseinanderbrechen einer auf Geld und Konkurrenz aufgebauten Gesellschaftsstruktur entgegen steuert, ohne ihre grundlegende innere Spaltung zwischen Warenbesitzer in Frage stellen zu können. Noch mehr: die Funktion des Staates besteht darin, genau die "Gesetze" des Warentausches und der Lohnarbeit zu bekräftigen und zu verallgemeinern, nicht zuletzt indem er die Ideologie der Ewigkeit und Naturgegebenheit dieser Gesetze verkörpert und transportiert.
Die Einschränkungen der Tragweite des Staatseingreifens werden auch dadurch deutlich, daß die Weltwirtschaft strukturell aus einem Netz von teilweise untereinander konkurrierenden Wirtschaftsmächte mit deren zugehörigen Staaten besteht.
Die Marx’sche Kapitalismus Kritik geht also von der Notwendigkeit aus, daß die Menschheit Herr über ihr Schicksal wird, indem die Lohnarbeit abgeschafft wird und mit ihr ihre historische Voraussetzung und Ausdruck: das Privateigentum, die Ware, das Geld und der Staat. Wieso eine solche historische Aufhebung der "Ökonomie" und der "Politik" möglich ist und im Schoß der modernen Gesellschaft ihre Wurzeln findet wird im nächsten Punkt behandelt.
Der Inhalt des Kommunismus
Der Kommunismus ist die von der Menschheit aktiv hergestellte Gesellschaftsstruktur, in der die Lohnarbeit und ihre Bedingungen abgeschafft worden sind. Allerdings findet diese Abschaffung auf der Basis der zivilisatorischen Errungenschaft der bisherigen Gesellschaften statt und integriert sie.
Die Bedingungen des Kommunismus
Es gibt keinen Kommunismus ohne bestimmte materiellen Voraussetzungen (Reichtum) und ohne ein Subjekt, dessen Bedürfnissen und dessen bewußten Wille dem Kommunismus entsprechen
Kommunismus als Inhalt einer Bewegung, die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft entsteht. Die Dynamik des Kapitals.
Der Marx’sche Begriff der Kapitalismuskritik wäre selber abstrakt, wenn er sich in einer reiner beobachtender, analytischer Kritik erschöpfte, die in den Köpfen einiger Denker grassiert. Für Marx kann die wirkliche Kritik nur diejenige sein, die die konkret tätigen Menschen durch ihr Handeln ausüben. Wohlgemerkt ist hier nicht im Vordergrund der Appell an den "Denker", sie sollen endlich aus ihren Elfenbeintürmen herunterkommen und ihre Gedanken "aktiv" umsetzen, gemeint. Nein, vielmehr wird damit darauf verwiesen, daß die "wahre" Kritik darin besteht, daß die in der kapitalistischen Gesellschaft lebenden Menschen durch ihre alltäglichen wirksamen Tätigkeiten, und hier insbesondere im Produktionsprozeß, letztendlich faktisch diese Gesellschaftsstruktur in Frage stellen und dahin wirken, daß sie real aufgehoben wird. "Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, .... Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst."[Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung (vgl. MEW Bd. 1, S. 385)].
Die aktuellen Produktionsverhältnisse, die den Rahmen darstellen, in dem die Gesellschaftsmitglieder handeln, sind das Ergebnis vergangenen gesellschaftlichen Zusammenlebens und werden zugleich beständig durch die Menschen immer neu als fremde Macht reproduziert. Entscheidend sind aber die Momente und Elemente der gesellschaftlichen Tätigkeiten, sprich der Produktivkraft der Arbeit, die diese Produktionsverhältnisse nicht nur reproduzieren sondern auch sprengen. Es entsteht ein Antagonismus zwischen den in Strukturen geronnenen vergangener sozialer Handlungen und den auf dieser Basis sich entfaltenden neue soziale Handlungen. "...aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus." [Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie (vgl. MEW Bd. 13, S. 9)]. Diese Lösung, "...der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung." [Marx/Engels: Die deutsche Ideologie (vgl. MEW Bd. 3, S. 35)].
Die Herrschaft des Kapitals, d.h. die durch den Markt vermittelte Beziehung der Gesellschaftsmitglieder untereinander und die Unterwerfung des sozialen Lebens unter dem Diktat der erweiterten Akkumulation, der Profitmaximierung, ruft im Produktionsprozeß eine Sozialisierung der Arbeit hervor, indem die Lohnarbeiter während des Arbeitstages immer stärker auf die Koordination ihren produktiven Tätigkeiten angewiesen sind. Im Produktionsprozeß selber findet kein Warenaustausch statt sondern das Wirken eines Kollektivs. Diese Alltagserfahrung ist seinem Wesen nach der Logik des Marktes entgegengesetzt. Sie produziert neue historische Verhaltensweisen und neue soziale Bedürfnisse, die weit über die biologisch bestimmte Bedürftigkeit hinausgehen. Hier wächst eine neue Menschheit, die zu neuen auf kollektive Kontrolle und Organisation des Austausch mit der Natur basierenden Menschenverhältnisse drängt. Im selben Atemzug wird die Vielfalt und Menge an produzierte Güter dermaßen gesteigert, daß eine kollektive Aneignung geradezu gefördert wird. Eine individuelle Nutzung der in der kapitalistischen Gesellschaft entwickelten Produktionsmittel wird buchstäblich unmöglich. Der gigantische gewonnene materielle Reichtum wird begleitet durch einen ebensolchen Reichtum an sozialen und nicht mehr biologischen Bedürfnisse. In anderen Wörter schafft die Dynamik der entfremdeten Arbeit sowohl die materielle Voraussetung als auch den historischen neuen Subjekt, die beide zusammen eine wahre Kritik der Kapitalverhältnisse, d. h. das Ende der Lohnarbeit, ermöglichen. Ohne diese aus der Entfaltung des Kapitals entstehenden Bedingungen ist der Kommunismus vom Marx’schen Standpunkt eine reine Schimäre.
Das Proletariat als revolutionäres Subjekt
Das revolutionäre Wesen des Proletariats besteht in a) seiner Eigentumslosigkeit, b) den sozialen Charakter der lebendigen Arbeit und c) seiner Verallgemeinerung und Vereinheitlichung
Pauperisierung. Die Reproduktion der Bedingungen für das Kapital. Kooperation der Arbeit Proletarisches Gedächtnis (Kultur, Kontinuität der Kämpfe). Der Trend zur weltweiten Konkurrenz der Kapitalien. Die Zentralität der Produktion. Im Begriff der Produktivkraft fallen objektive und subjektive Bedingungen des Kommunismus zusammen.
Die Bedingungen für revolutionäre proletarische Bewegungen
Damit eine revolutionäre Bewegung existiert, müssen Klassenkämpfe entstehen. Diese müssen sich verallgemeinern und schließlich muß das Proletariat von einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft zu einer aktiven subversiven Klasse werden.
Der ökonomische Zyklus. Die Krisenhaftigkeit des Kapitals. Die Auflösung der Entfremdung (Kontrolle der Kämpfe) und der qualitative Sprung zwischen dem ökonomischen Zwang zum Kämpfen und der bewußte Wille zur Schaffung einer befreiten Gesellschaft.
Um die Frage zu behandeln, wieso ein an sich revolutionäres Proletariat nicht permanent versucht der Herrschaft des Kapitals ein Ende zu setzen, müssen wir erstmals davon ausgehen, daß Wesen und Erscheinung nicht identisch sind. Da Erscheinungen Momentaufnahmen der Wirklichkeit sind, enthalten sie keine Erklärung für die unterschiedlichen Erscheinungen und für die Entstehung einer Erscheinung aus der vorherigen - also für gesellschaftliche Dynamik -. Demgegenüber können diese Kräfte, diese Tendenz, die zur Veränderung der Erscheinung treibt, als Wesen erfaßt werden.
Dieses Wesen ist aber nicht metaphysisch, denn es ist selber das Ergebnis vorangegangenen Prozesse unter konkreten historischen Bedingungen. Das revolutionäre Wesen des Proletariats schält sich aus dem Drang des Kapitals zu akkumulieren heraus und letzter aus der Warendynamik, wenn diese auf dem Boden der feudalen Gesellschaftsstruktur in der Lage versetzt wird, die Produktionsmitteln mit einzubeziehen. Daß diese Warendynamik nicht "harmonisch" verläuft beweist die schreckliche und gewaltsame Durchsetzung der "ursprünglichen Akkumulation".
Dieses Wesen wirkt und entfaltet sich nur unter bestimmten Bedingungen. Im Alltag der kapitalistischen Produktionsweise ist das Proletariat ein Element, ein Moment des Kapitals. Sein handeln, seine Lebensbedingungen werden vom Kapital diktiert und obwohl es aktiv in die Veränderung der materiellen/objektiven Welt eingreift, benimmt es sich passiv der gesellschaftlichen Struktur gegenüber, das heißt es übernimmt keine soziale Verantwortung im Bereich der Produktion und Verteilung des Reichtums. Es verhält sich so, solange die Veränderungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen halbwegs mit den von der bürgerlichen Gesellschaft ideologisch selbstgestellten Ziele des ökonomischen und sozialen Fortschritts im Einklang stehen.
Das Kapital konnte allerdings bis jetzt (und es wäre die Aufgabe einer erneuten Beschäftigung mit der Krisentheorie zu zeigen, daß es in dem "Wesen" des Kapitals liegt, daß es auch in der Zukunft der Fall sein wird) diese Ansprüche nicht kontinuierlich und systematisch garantieren. Immer wiederkehrende ökonomische Krisen bzw. Angriffe gegen vorher erreichten Verbesserungen der Lage der Lohnarbeiter, drängen das Proletariat einerseits zur Wiederaufnahme von ökonomischen Kämpfen und andererseits zur mehr oder wenigen Infragestellung der ökonomischen und/oder politischen Herrschaft der Bourgeoisie.
Die ökonomischen Kämpfe sind an sich noch reine Reaktionen, das heißt sie bewegen sich auf das Terrain und in Abhängigkeit der Kapitaldynamik, aber das revolutionäre Wesen des Proletariats kommt zum Ausdruck, in dem Moment, wo die Proletarier diese Kämpfe als kollektiver Akt bewußt organisieren. Ab dann betreten sie ein neues Feld. In den Kämpfen wird eine Dynamik sichtbar, die nicht mehr, aus der des Kapitals direkt abzuleiten ist. Die Übernahme der Kämpfe in ihren eigenen Händen bricht mit der täglichen Erfahrung der Entfremdung einerseits und andererseits setzt die im Produktionsprozeß gewonnene Erfahrung der Kollektivkraft fort. Sollte die Auseinandersetzung länger dauern als die Arbeiterfamilienvorräte, so sehen sich die Proletarier damit konfrontiert, die Versorgung der Kämpfenden gewährleisten zu müssen. Da sie über keine finanzielle Ressourcen verfügen, greifen sie auf ihre Erfahrung im Produktionsprozeß zurück. Sie nehmen die Produktion gezielt wieder auf, um die benötigten Güter zu erstellen und organisieren die Verteilung nach den Bedürfnissen der Menschen, so wie die Verteilung der Produktionsmittel innerhalb eines Betriebs nach den technologischen „Bedürfnisse" der Produktion und nicht nach den Gesetzen des Warenaustausches stattfindet. Auch für die materielle Fortsetzung und die Verbreiterung des Kampfes bedienen sich die Proletarier von den existierenden technischen Mittel. In anderen Worten verlangen die Proletarier de facto, daß sie sich einen unmittelbaren Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum verschaffen und zwar sofort und umsonst. Erst dann erscheinen im Handeln und im Bewußtsein der Masse der Proletarier Risse, durch die das revolutionäre "Wesen" des Proletariats dringen kann. Die Dynamik des Kapitals hat eine andere ihr entgegengesetzte Dynamik hervorgerufen. Eine neue Organisationsform des gesellschaftlichen Lebens kündigt sich an. Die Keime des Kommunismus nehmen eine konkrete Gestalt an.
Hat das Kapital die Tendenz, sich auf die ganze Welt auszuweiten, so verallgemeinert es das proletarische Dasein; auch seine Krisen bekommen tendenziell einen internationalen Charakter. Damit ist der Boden, auf dem lokale Kämpfe zu globalen Kämpfe gedeihen können, gegeben. Der Kampf gegen den einen Boß kann sich in eine Konfrontation mit der ganzen Bourgeoisie verwandeln. Schlummerten die subversiven Bedürfnisse des Proletariats nur unter dem Gewicht des Alltags, so können sie plötzlich offen treten, aus den Bedürfnissen wird ein kollektiver Wille: von einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft wird das Proletariat zur subversiven Klasse, zum Subjekt der Geschichte, zum Geburtshelfer des Kommunismus.
Im Gegensatz dazu, überlassen die Proletarier ihre Kämpfe - in der „Tradition" ihrer Unterwerfung unter der Kontrolle des „Unternehmens" - spezialisierten Institutionen wie den Gewerkschaften oder den Parteien und schafft das Kapital eine rasche Überwindung der Krise (so daß das Grundvertrauen an die Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft in den Köpfen der Proletarier bestehen bleibt), so respektieren sie die herrschenden Verhältnisse und letztendlich befestigen sie sie. Ihr revolutionäre Charakter bleibt eine theoretische Annahme – ein Trost für unsere Hoffnungen - ohne praktische Auswirkung.
Die reale Arbeiterbewegung seit der 2. Hälfte des XIX Jahrhunderts
Wir müssen feststellen, daß entgegen den Entwicklungen am Anfang des XIX Jahrhunderts die Arbeiterbewegung sich seitdem durch ihre Tendenz zur Integration in die bürgerliche Gesellschaft charakterisiert hat.
Wahlrecht, Arbeitsrecht, Sozialstaat. Verstaatsbürgerlichung. Reformismus, Haltung gegenüber dem Kolonialismus und dem eigenen Imperialismus. Das Verlangen nach Frieden ("konservative" Forderungen, wenn der Staat oder die Unternehmer was verändern wollen: defensive statt offensive Kämpfe). Die Unterwerfung unter Spezialisten (Politiker, Gewerkschaftsführer). Nur punktuell und in Minoritäten (Räte, Spanien 34) sind Ansätze einer bewußten kollektiven Überwindung von Warenverhältnissen zu verzeichnen. Selbst in 68 war außer die wieder möglichen "Vorstellungen" einer anderen Gesellschaft in der Praxis kaum was umgesetzt. "Belanglosigkeit" von Absenteismus, Sabotage und individuelle Arbeitsverweigerung (integriert die bewußte kollektive Haltung nicht). Sogar die Suche nach individuellen Lösungen ist Ausdruck der ideologischen Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft.
Warum, trotz aller vorher dargestellten Wesenbestimmungen und Tendenzen, hat das Proletariat den Kommunismus (vermutlich sein wahres Sein) bis heute nicht durchgesetzt? Das ist die brennende Frage, der wir uns ohne Scheuklappen widmen müssen.
Die Veränderungen des Proletariats
Die Veränderungen, die im Proletariat im selben Zeitraum stattgefunden haben, verstärken nicht sein revolutionäres Wesen.
Migrationen, Leiharbeit, Zeitarbeit, Eigentum (Ersparnisse, Wohnung, Auto, Massentourismus und -kultur, Börse!), internationale Unterschiede, Weltbevölkerungswachstum und Proletarisierung, weltweite Marginalisiserung.
Die Einverleibung der Sozialität durch das Kapital (in den Arbeitsmitteln/Technologie) - Heimarbeit.
Verschwinden der Arbeiterviertel und -kultur. Das Generationsloch (mehr als 50 Jahren ohne revolutionäre Kämpfen). Reichtum und Atommüll.
Selbstveränderung des Proletariats und geschichtlicher Determinismus
Das Proletariat ist nicht schicksalhaft dazu "verdammt", revolutionär zu werden
Das doppelte Wesen des Proletariats (als Bürger, Warenbesitzer und als kollektiver Arbeiter). Zwang und Freiheit in der geschichtlichen Entwicklung. Die Nicht-Reduzierbarkeit der Geschichte auf objektiven "Gesetzte". Die Geschichte und vor allem soziale Bewegung an der Schwelle der Subversion kann man nicht "logisch" ableiten, erklären und rekonstruieren. Es gilt viel mehr die Breite der Potentialitäten jeweils aufzuzeigen und die konkreten subjektiven Elemente, die in einem konkreten Moment die letzlich historische reale Wende der Ereignisse maßgeblich entschieden hat.
Es gibt nur Situationen, die eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft unmöglich machen, andere die für eine solche Umälzung ungünstig sind und letzlich andere die dafür günstig sind. Keine führt automatisch zur Umwälzung. Aber es gibt auch keine Linearität von der Unmöglichkeit bis zur immer günstigeren.
Wohin mit unserem Wille?
Wir sind Teil der Bedingungen, die belegen, daß die Möglichkeit der Revolution nicht endgültig verschwunden ist.
Unsere Bedürfnisse. Unser Eingreifen in Konflikten. Vielleicht kommen in den nächsten 30 oder 40 Jahren doch günstigeren Zeiten: Internet, Globalisierung, Infragestellung der Wertung der Arbeit und vor allem ökonomische Krisen mit unberechenbare Auswirkungen.
Berlin, November 2000.